Annerose Speck (A): Jens, du hast heute gespendete Lebensmittel bei über 25 Supermärkten und Bäckereien abgeholt, am Eingang unsere Kunden in Empfang genommen und auch bei der Gemüse-Theke geholfen. Ich denke du hast heute viel erlebt und einiges über die Tafelladen-Arbeit erfahren. Wie hat dir der heutige Tag gefallen?
Jens Metzger (J): Es war ein toller Tag, doch wie so oft hat auch diese Medaille zwei Seiten. Auf der einen Seite finde ich das Konzept des Tafelladens mit geretteten Lebensmitteln Menschen zu helfen genial.
Doch auf der anderen Seite sollte es die 948 Tafelläden in Deutschland nicht brauchen. Denn im Grunde genommen bekämpfen wir hier Symptome und keine Ursachen, egal ob bei der Lebensmittelverschwendung oder beim Thema Armut. Wir brauchen sowohl eine Wirtschaft, in der keine Lebensmittel mehr weggeworfen werden, als auch eine Gesellschaft, in der Menschen nicht mehr auf stark vergünstigte Lebensmittel angewiesen sind.
A: Da stimme ich dir zu. Dennoch sind wir derzeit leider offensichtlich noch nicht so weit. Wir brauchen Veränderungen. Eine bessere Wertschätzung der Lebensmittel in der Wirtschaft und in den privaten Haushalten. Auch politische Veränderungen können Zeichen setzen und eine gerechtere Gesellschaft bewirken. Momentan bin ich dankbar für jede Art von Unterstützung. Um beiden Seiten gerecht zu werden, Lebensmittel vor der Vernichtung zu retten und Menschen eine Möglichkeit zu bieten am gesellschaftlichen Leben leichter teilzunehmen. Ohne Mitarbeit von vielen Freiwilligen können wir diese große Aufgabe nicht bewältigen.
J: Ich bin total begeistert von den Ehrenamtlichen, die hier Tag für Tag mitarbeiten und ihren Teil zu einer besseren Gesellschaft beitragen. Gut gefällt mir auch, dass auch viele Menschen mithelfen, die selbst Kundinnen und Kunden beim Tafelladen waren oder sind. Das zeigt, wie sehr sie diese Einrichtung wertschätzen. Trotzdem fehlt es euch teilweise an Unterstützung, oder?
A: Ja, vor allem in Zeiten wie diesen. Die älteren Menschen, die uns sonst tatkräftig unterstützen, fallen Corona bedingt weg. Deshalb benötigen wir jetzt jede helfende Hand. Seid Kurzem sind wir auch auf Instagram und hoffen noch mehr junge Leute für die ehrenamtliche Arbeit beim Tafelladen begeistern zu können. Ob bei der Sortierung der gespendeten Lebensmittel, im Verkauf oder beim Abholen der Lebensmittel. Eigentlich ist bei uns für jeden etwas dabei.
J: Das denke ich auch. Die Arbeit beim Tafelladen ist sehr vielfältig und man sieht was man schafft. Für Menschen, die sich gerne ehrenamtlich betätigen wollen, sehe ich hier viele tolle Chancen.
Für die Arbeit im Laden selbst sollte man kontaktfreudig sein. Das erleichtert die Arbeit mit den Kunden sehr. Oder aber man hilft beim (Aus-)Sortieren der Lebensmittel; hier sind dann ein gutes Auge, sowie eine flinke Hand hilfreich. Wer lieber unterwegs ist, der sollte sich Überlegen, ob er nicht beim Abholen der Lebensmittel in und um Tuttlingen mitarbeiten will. Da kann man sogar mit gutem Gewissen große Autos fahren.
A: Dabei meinst du sicherlich den Aspekt der Nachhaltigkeit?
J: Genau! Aber nicht nur beim Autofahren. Das Thema der Nachhaltigkeit wird beim Tafelladen vor allem dadurch präsent, dass man damit konfrontiert wird, wie viele Lebensmittel wir tagtäglich wegwerfen. Damit verbrauchen wir unnötig landwirtschaftliche Fläche und Wasser. Außerdem verstärken wir durch das CO2, das bei Produktion und Transport der Lebensmittel ausgestoßen wird, den Klimawandel. Das verstehe ich nicht unter nachhaltigem Wirtschaften. Wir können und sollten es besser machen und die Gemeinwohl-Ökonomie bietet hier Ansätze:
Wir wollen, dass Unternehmen z.B. durch Steuerentlastung oder Vorzug bei öffentlichen Aufträgen dafür belohnt werden, wenn sie möglichst CO2-neutral, umweltfreundlich und sozial - sprich gemeinwohlorientiert wirtschaften. Würde man dieses Prinzip in unser Wirtschaftssystem integrieren, dann würde auch die Lebensmittelverschwendung schnell der Vergangenheit angehören. Natürlich ist es dann wichtig im selben Zug dafür zu sorgen, dass sich weiterhin alle Menschen in unserer Gesellschaft Lebensmittel leisten können - hier wären dann die Ansätze des Bedingungslosen Grundeinkommens durchaus interessant. Generell sollten wir aufhören uns bei Einrichtungen wie der Tafel nur zu bedanken, sondern den Mut haben neue Ansätze tatsächlich auszuprobieren, um die Ursachen zu bekämpfen und nicht nur die Symptome.
A: Jens, ich danke dir und der Gemeinwohlökonomie-Gruppe für euren Einsatz für den Tafelladen. Ich hoffe, das motiviert auch andere junge Leute dazu. Wir haben festgestellt, dass die Tafel-Initiativen und die Gemeinwohlökonomie viele ähnliche Ansätze haben.